Die Änderungen der Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) vom 09. Februar 2021 haben das Ziel einer tierschutzgerechteren Haltung von Sauen. Unter anderem wird (mit einer Übergangsfrist für Altbetriebe) die Zeit, die eine Sau in einem Kastenstand verbringt, auf maximal fünf Tage um den Abferkeltermin herum verkürzt. Aber auch diese weiterhin erlaubte Fixierung über fünf Tage im Abferkelstall beeinträchtigt die Sauen erheblich. Im Sinne des Tierschutzes ist es darum wünschenswert, freiwillig auf die Fixierung der Sauen im Abferkelstall zu verzichten und die Sauen sich frei bewegen sowie frei abferkeln zu lassen.
Begriffsbestimmung freies Abferkeln: Freies Abferkeln bedeutet, dass die Bewegungsfreiheit der Sau weder vor und während der Geburt noch in der gesamten Säugeperiode eingeschränkt wird. Kurzzeitige Fixierungen sind für medizinische Behandlungen erlaubt, sofern die Buchtenstruktur dies ermöglicht. Einige Länder erlauben nur noch diese Art der Abferkelung (Kastenstand: Europa und andere Länder). Auch die Europäische Union beschäftigt sich mit diesem Thema (siehe weiter unten: Zukunftsfähigkeit).
Das freie Abferkeln bringt sehr viele Vorteile für das Wohl von Sauen und Ferkeln. Für die Betreuungsperson ergeben sich mit ihr in punkto Arbeitssicherheit und Wirtschaftlichkeit jedoch auch einige Nachteile. Der unten dargestellte Vergleich der Vorteile (grün) und Nachteile (rot) des Ferkelschutzkorbes bzw. der geschlossenen Bewegungsbucht einerseits und der freien Abferkelung andererseits zeigt deutlich die überwiegenden Vorteile in der freien Abferkelung.
Da die vorhandene Betriebsstruktur und die persönlichen Vorlieben eine Rolle spielen, gibt es keine einheitliche Lösung, die für alle Landwirte gleichermaßen passt. Um sicherzustellen, dass die Umstellung auf die freie Abferkelung für Sie und die Tiere ein Erfolg wird, sollten Sie sich im Voraus einen Überblick über die vorhandenen Systeme und Möglichkeiten verschaffen. Dazu empfehlen wir Ihnen, sich Betriebe mit unterschiedlichen Buchtenstrukturen und Management anzusehen und sich mit erfahrenen Berufskollegen und oder den Versuchs- und Bildungszentren (z.B. Bayerisches Staatsgut Schwarzenau) auszutauschen.
Unter Praxisbeispiele finden Sie eine Übersicht über die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten von Buchten mit selbst erstellten und kommerziell vertriebenen Lösungen.
Mit folgenden Hinweisen zu aus Sicht des Tierwohls und der Arbeitssicherheit wichtigen Faktoren möchten wir Ihnen beim erfolgreichen Einstieg helfen.
Die Zucht auf ruhige, freundliche Sauen ist ein Kernelement der freien Abferkelung. Sauen, die bereits in einem ähnlichen System geboren wurden sowie Jungsauen passen sich gut und schnell an ein neues System an. Altsauen hingegen tun sich häufig schwerer. Es werden Zeitspannen von 6 – 12 Monaten oder mehr angegeben, bis sie eine Saugferkelsterblichkeit vergleichbar zu der im Kastenstand erreichen. Bei einem Umbau im laufenden Betrieb empfiehlt es sich darum, die Jungsauen in den neuen Abferkelbuchten frei abferkeln zu lassen. Da das Verhalten der Tiere eine erbliche Komponente hat, empfiehlt es sich auf gute Muttereigenschaften bei geringem Aggressionspotenzial zu selektieren. Dies wirkt sich nicht nur auf den Umgang mit den Sauen sondern auch auf die Ferkelverluste aus. Ein ruhiger Umgang besonders mit den Remonten bzw. Jungsauen sowie häufiger Kontakt zu Menschen fördern die Tier–Mensch-Beziehung und lassen die Tiere weniger schreckhaft sein. Häufig wird auch ein Radio in die Jungsauenaufzucht gestellt, um die Tiere an menschliche Laute zu gewöhnen. Ein guter Gesundheitszustand, besonders des Bewegungsapparates (z.B. Klauen, Gelenke) sollte immer angestrebt werden. Zudem kommen Erdrückungsverluste bei vitalen, gesunden und robusten Ferkeln mit hohem Geburtsgewicht weniger oft vor (siehe Kachel Saugferkel).
Je nachdem ob Sie neu bauen oder ein bereits bestehendes Gebäude umbauen, haben Sie unterschiedlich viel Spielraum. Vorab zu bedenken sind: die interne Biosicherheit, die Möglichkeit effizient zu arbeiten (Laufwege, Sackgassen), Lüftung, Licht, Geräuschpegel/Unruhe, Evakuierung im Notfall (z.B. Brand), Krankenbuchten, Ammenbuchten.
Aktuell ist der Ferkelschutzkorb/Kastenstand in den meisten europäischen Ländern und vielen Drittstaaten in Gebrauch. Auf europäischer Ebene wird jedoch ein vollständiges Verbot von Ksäfigsystemen, auch bei Sauen diskutiert („End the cage age“). Bei freier Abferkelung sind diesbezüglich keine Probleme zu erwarten.
Mit einer Bodenfläche von mindestens 6,5 m2 hat Deutschland eine der größten Mindestvorgaben für Abferkelbuchten in Europa (Europa und andere Länder). Aktuell (Stand Ende 2023) ist für die konventionelle Schweinehaltung kein Europäischer Gesetzentwurf zur Größe der Abferkelbucht bekannt. Unterschiedliche Gruppen beschäftigen sich jedoch mit der Thematik. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schreibt in einem Bericht, dass 6,6m2 der Sau zu Verfügung stehender Fläche, also Buchten mit einer Bodenfläche von etwa 7,8 m2 am ehesten eine reduzierte Saugferkelsterblickheit ermöglichen. (EU PiG Innovation Group, EFSA (2022), Welfare of pigs on farm (English))
Die meisten befragten Landwirte waren mit ihrem System der freien Abferkelung grundsätzlich sehr zufrieden und konnten sich nicht vorstellen, die Sauen wieder in Kastenständen zu halten. Laut EFSA kann die Anpassung an ein neues System jedoch 4-6-Abferkelpartien dauern. Wenn zu Beginn die Zahlen (z.B. Saugferkelverluste) also noch nicht wie erwünscht sein sollten, lassen Sie sich nicht entmutigen. Es wird besser!
Geburten laufen in der freien Abferkelung schneller und komplikationsärmer ab (kaum Geburtshilfe, seltener Milchfieber, kaum Behandlungen) als im Kastenstand. Dadurch ist der Betreuungsaufwand bei den Sauen geringer. Wichtig ist jedoch, dass die Sau ihr Nestbauverhalten vor der Geburt ausleben kann. Material, das zerkaut und in der Bucht bewegt werden kann, wie z.B. Langstroh, eignet sich besonders gut und sollte vor der Geburt mehrmals täglich bodennah in einer Menge von > 1 kg pro Tier/Tag angeboten werden. Stroh aus hängenden Raufen wird zum Nestbau häufig nur unzureichend angenommen.
Die Ferkel müssen in den ersten Lebenstagen intensiver betreut werden. Besonders lebensschwache, kranke (z.B. Spreizer) oder kleine Ferkel (< 800 g Lebendgewicht) haben ein erhöhtes Risiko für Unterkühlung (besonders bei Spaltenboden, großen Buchten) und Unterzucker (schwieriger Zugang zum Gesäuge) wodurch ihre Reaktionsgeschwindigkeit abnimmt und das Risiko von Erdrückungsverlusten steigt. Es ist darum wichtig, diese Ferkel frühzeitig ins Ferkelnest (hilft gegen Unterkühlung) oder ans Gesäuge (hilft gegen Unterzucker) zu setzen und kranke Tiere zu versorgen (Tapen bei Spreizern). Häufig ist dieses Um-/Ansetzen während der ersten zwei bis drei Lebenstage mehrfach notwendig, danach kommen die Ferkel selber zurecht. Ein gutes Mikroklima im Ferkelnest und kühle Lufttemperaturen im Aufenthaltsbereich der Sau (16 – 20 °C) können diesen Lernvorgang zumindest bei gesunden und vitalen Ferkeln beschleunigen. In einer online-Umfrage, an der 43 Schweizer Zuchtbestände mit freier Abferkelung teilgenommen haben, gaben 73 % der Befragten an, die Ferkel regelmäßig ins Ferkelnest zu legen und knapp die Hälfte praktizierte ein Ansetzen ans Gesäuge.
Weitere Informationen zur Reduktion von Erdückungsverlusten finden Sie unter „Saugferkel“