Laut einer großen Europäischen Studie (InterPig (AHDB, 2021a)) liegt die Saugferkelsterblichkeit (prozentueller Anteil gestorbener von lebend geborenen Ferkeln von Geburt bis Absetzen) in Europäischen Ländern inklusive UK bei Sauen in konventionellen Kastenständen durchschnittlich etwa bei 14,2 % (mit 90 % Sicherheit im Bereich von 12,4 % – 17,0 %). Laut Experten kann es zwischen Betrieben bis zu 22 % Unterschied geben, was bedeutet, dass in 80 % der Betriebe die Saugferkelsterblichkeit bei Sauen in konventionellen Kastenständen zwischen 10,2 % und 18,3 % liegt. Für Bewegungsbuchten mit einem durchschnittlichen Platz für die Sau von 4,3 m2 bis 6,3 m2 kann die gleiche Ferkelüberlebensrate wie im Kastenstand erreicht werden. Bei einer Fixierung bis mindestens sieben Tage nach Geburt (Anmerkung: in Deutschland nicht erlaubt) wird eine durchschnittliche Saugferkelsterblichkeit von 14,0 % erwartet (mit 90 % Sicherheit in Bereich von 12 % bis 17 %). Wird die Sau in der Bewegungsbucht nie fixiert, erwarten die Wissenschaftler einen Anstieg der Saugferkelsterblichkeit von durchschnittlich 24 % im Vergleich zum Kastenstand (mit 90 % er Sicherheit ein Anstieg der Saugferkelsterblichkeit um 3 % bis 59 %). Dies würde in einer Saugferkelsterblichkeit von durchschnittlich 18 % (mit 90 % Sicherheit im Bereich zwischen 14 % und 24 %) resultieren. Der durchschnittliche Anstieg der Saugferkelverluste in der freien Abferkelung wird von den Experten mit einem schlecht funktionierenden Betrieb mit Kastenstandhaltung verglichen. Schaut man sich die tatsächlich von den Ländern übermittelten Zahlen zu Saugferkelverlusten an, welche die freie Abferkelung seit Jahren praktizieren, zeigt sich jedoch ein ganz anderes Bild (Grafik 2).
Durchschnittliche Saugferkelverluste
Ferkelschutzkorb:
Europäischer Durchschnitt:
Dänemark 2022:
Großbritannien 2022 (Indoor):
Bayern 2022 (Deutschland):
~ 14,2 % (EFSA Welfare of pigs, 2022)
15,4 % (landbrugsinfo.dk)
13,0 % (porktools.ahdb.org.uk)
12,2 % (LKV Bayern)
Bewegungsbucht:
Geschätzter Europäischer Durchschnitt:
14,0 % (EFSA Welfare of pigs, 2022)
Freie Abferkelung:
Geschätzter Europäischer Durchschnitt:
Norwegen 2022:
Großbritannien 2023 (Outdoor):
Schweiz 2022:
18,0 % (EFSA Welfare of pigs, 2022)
12,0 % (Ingris-Lager 2022)
12,0 % (porktools.ahdb.org.uk)
9,7 % (SUISAG- nicht veröffentlicht)
Ein Blick in die Praxis der freien Abferkelung und des Ferkelschutzkorbes in puncto Saugferkelverluste:
Grafik 3: Saugferkelverluste in unterschiedlichen Ländern errechnet als prozentualer Anteil der Verluste der lebend geborenen Ferkeln ab Geburt bis zum Absetzen.
Grafik 3 zeigt, wie sich die Saugferkelverluste in verschiedenen Ländern über die Jahre unterschiedlich entwickelt haben. In den Ländern in Rot-Tönen ist die Anzahl der Saugferkelverluste um bis zu 2 % Punkte gestiegen. Hingegen wurde in Ländern in Blau-Tönen eine Reduktion der Saugferkelverluste um bis zu 3 % beobachtet. So ergeben sich länderspezifisch große Unterschiede in den Saugferkelverlusten, welche 2022 in den Ländern, zu denen Daten präsentiert werden, zwischen 10,1 % und 15,4 % lagen. Doch welche Ursachen verbergen sich dahinter? Schaut man sich die Entwicklung der durchschnittlichen Anzahl lebend geborener Ferkel/Sau/Wurf in diesen Ländern an, so ist in allen Ländern ein Anstieg, jedoch in unterschiedlichem Maß, zu sehen (Grafik 4).
Grafik 4: Durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel pro Sau und Wurf in unterschiedlichen Ländern.
Der Anstieg zwischen 2011 und 2022 variiert länderabhängig zwischen 0,6 bis 3,4 mehr lebend geborene Ferkel/Sau/Wurf. Wissenschaftler sehen bereits seit langem einen Zusammenhang der steigenden Wurfgröße mit steigenden Saugferkelverlusten, welcher sich auch hier in den Zahlen wiederfindet. Doch spielt auch das Haltungssystem, also Kastenstand versus freie Abferkelung eine Rolle? Bei der Betrachtung der Legende wird klar, dass die Werte in Rot-Tönen aus Ländern und Herden mit mehrheitlicher Haltung im Kastenstand stammen, während die Werte in Blau-Tönen aus Ländern und Herden mit freier Abferkelung stammen.
Betrachtet man die vorliegenden Werte, lagen die Saugferkelverluste 2022 in Ländern und Herden mit Kastenstandhaltung somit tendenziell höher oder vergleichbar als in denen mit freier Abferkelung. Die Zahlen zeigen somit deutlich, dass das Haltungssystem alleine nicht primär Ursache für die Saugferkelverluste sein kann. Vielmehr spielen andere Faktoren wie die durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel/Sau, Genetik, Management und viele weitere Faktoren eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Saugferkelverlusten. Da die Zahlen nicht weit genug zurückreichen, ist aber ein Anstieg der Saugferkelverluste in den Jahren um und nach der Umstallung des Systems auch nicht auszuschließen. Vielmehr scheinen Länder mit freier Abferkelung Wege gefunden zu haben, wie sie die Saugferkelverluste Jahr für Jahr, trotz leicht steigender Anzahlen an lebend geborenen Ferkeln/ Sau/ Wurf reduzieren konnten.
Es ist zu berücksichtigen, dass sich die Datenerhebung zwischen den Ländern möglicherweise unterscheidet. Weitere Einzelheiten zu den Ländern und ihren Leistungsdaten werden im Folgenden dargestellt.
Bayern (Deutschland)
Im Jahr 2022 wurden in Bayern von 791 Ferkelerzeugern im durschnitt 120 Tiere je Betrieb gehalten. Nur dreizehn Betriebe halten mehr als 400 Sauen. Je höher die Anzahl an Sauen im Betrieb angegeben wurde, desto höher die Anzahl abgesetzter Ferkel je Sau und Jahr. In größeren Betrieben, wurden nach diesen Angaben höhere Saugferkelverluste übermittelt. Eine allgemeine Übersicht zu Leistungsdaten in Bayern ist in Grafik 5.1 und für gesamt Deutschland in Grafik 5.2 dargestellt. Mit 34,3 % war die Deutsche-Landrasse –Sau die am häufigsten Verbreitete Genetik in Bayern, wobei sie besonders häufig in kleinen Zuchtsauenbetrieben vorherrschte (LKV Bayern-Jahresbericht 2022).
Grafik 5.1: Saugferkelverluste (%) und durchschnittliche Anzahl lebend geborene & abgesetzte Ferkel/ Sau/ Wurf in Bayern seit 2000(LKV Bayern)
Grafik 5.2: Saugferkelverluste (%) und durchschnittliche Anzahl lebend geborene & abgesetzte Ferkel/ Sau/ Wurf in gesamt Deutschland seit 2010(Bundesverband Rind und Schwein e. V.). Die Daten wurden anders erhoben/ berechnet, als in den anderen Ländern. Erklärungen zur Berechnung/ Herkunft der Daten können unter https://erzeugerring.info/services/files/handbuchErzeugerringe.pdf eingesehen werden.
Dänemark
In Dänemark wurden 2022 in 1.298 Herden 974 918 Sauen gehalten. In 129 Beständen lag die Anzahl Sauen bei maximal 74 Stück, in 25 Beständen, wurden 3.000 oder mehr Sauen gehalten (www.statbank.dk/HDYR2). 2011 hat sich die Industrie in Dänemark das Ziel gesetzt, bis 2021 in 10 % der Zuchtherden die freie Abferkelung einzuführen. Tatsächlich lag der Anteil freier Abferkelungen oder Bewegungsbuchten in konventionellen Zuchtherden 2023 jedoch bei etwa 4% (SEGES Innovation –interne Kommunikation). Seit Oktober 2022 können dänische Landwirte eine Förderung für den Umbau der Abferkelställe zur freien Abferkelung oder zur Bewegungsbucht beantragen und für Neubauten wird durch das Agriculture & Food Council Pig Research Center die freie Abferkelung empfohlen.
Eine Analyse (SEGES Innovation P/S, Vinther 2022) der Produktivität dänischer Herden mit DanBred Genetik zeigt, dass die Anzahl lebend geborener und abgesetzter Ferkel in Dänemark seit Jahren deutlich steigt. Zeitgleich steigen auch die Zahlen der Saugferkelverluste (prozentualer Anteil an Verlusten von lebend geborenen Ferkeln bis zum Absetzen), siehe Grafik 6.
Grafik 6: Saugferkelverluste (%) und durchschnittliche Anzahl lebend geborene Ferkel/ Sau/ Wurf sowie abgesetzte Ferkel/ Sau/ Wurf in Dänemark seit 2008 (SEGES Innovation P/S, Vinther 2022 and 2017)
Vereinigtes Königreich (UK):
Im vereinigten Königreich werden etwa 40 % der Sauen im Freien (Outdoor) gehalten und ferkeln frei ab. Die restlichen 60 % werden in Gebäuden (Indoor) gehalten und die überwiegende Mehrheit ferkelt in Ferkelschutzkörben ab (AHDB Evidence report Aug. 2020). Anhand der Daten der AHDB (Agriculture and Horticulture Development Board) zu Saugferkelverlusten und Anzahl lebend geborener Ferkel/Wurf wurde folgende Grafik (Grafik 7) und Tabelle (Tabelle 1) erstellt.
Tabelle 1: Leistungsdaten nach Haltungssystem in UK
Haltungssystem |
Ø lebendgeborene Ferkel/ Wurf
(2019- 2023) |
Ø Saugferkel-sterblichkeit
(2019- 2023) |
Outdoor (freie Abferkelung) |
12,51 |
12,30 % |
Indoor (Ferkelschutzkorb) |
14,08 |
12,45 % |
Grafik 7: Saugferkelverluste (%) und durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel/ Wurf in UK seit 2010 in Outdoor (freie Abferkelung) und Indoor (Ferkelschutzkorb) Herden (porktools.ahdb.org.uk)
Schweiz:
Nach einer Übergangsfrist von 10 Jahren wurde in der Schweiz 2007 die freie Abferkelung als Mindeststandard für alle Betriebe eingeführt. Auswertungen aus den Jahren 2002 und 2003 zeigten (Weber et. al. 2006), dass sich die Saugferkelverluste in den über 600 untersuchten Schweizer Betrieben zwischen den Haltungssystemen (Kastenstand versus freie Abferkelung) nicht unterschieden und durchschnittlich bei 12,1 % lagen. In Betrieben mit freier Abferkelung wurden zwar signifikant mehr Ferkel erdrückt, jedoch wurden signifikant weniger sonstige Verlustursachen festgestellt. Laut Angaben der SUISAG, einem Schweizer Unternehmen, welches sich auf Genetik, Gesundheit und Herdenmanagement bei Schweinen spezialisiert hat, sind die Saugferkelverluste im Durchschnitt seit Jahren rückläufig (Datensatz erhalten in privater Kommunikation), siehe Grafik 8. Dies wird unter anderem mit der jahrelangen Selektion auf ruhige Sauen erklärt. Aggressive Sauen, ob gegen Menschen oder Ferkel, werden von den Schweizer Herdbuchbetrieben seit 20 Jahren konsequent ausselektiert und erzeugen keine Nachkommen mehr.
Grafik 8: Saugferkelverluste und durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel/ Wurf in der Schweiz seit 2013 nach Daten der SUISAG für zwei Schweizer Rassen (freie Abferkelung).
Norwegen:
2003 hat die Norwegische Gesetzgebung den Kastenstand im Abferkelstall abgeschafft. Zahlen zu Saugferkelverlusten direkt vor oder nach der Umstellung konnten nicht gefunden werden. Insgesamt ist die Anzahl der Saugferkelverluste in Norwegen im letzten Jahrzehnt deutlich rückläufig, bei einer steigenden Anzahl lebend geborener Ferkel/Wurf (Ingris Årsstatistikk 2022), siehe Grafik 9.
Grafik 9: Saugferkelverluste und durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel/Wurf in Norwegen seit 2011 (freie Abferkelung).
Gesamtfazit Saugferkelverluste:
Entgegen der Erwartungen von Wissenschaftlern und der verbreiteten Annahme hoher Saugferkelverluste in der freien Abferkelung zeigen die hier vorgestellten Zahlen, dass Saugferkelverluste nicht primär mit der Haltung im Abferkelbereich zusammenhängen müssen. Vielmehr übermitteln Ländern mit langjähriger Erfahrung in der freien Abferkelung tendenziell niedrigere Zahlen, und wichtig, seit Jahren fallende Zahlen zu Saugferkelverlusten als Länder mit Kastenstandhaltung. Die Jahrzehntelange Erfahrung unter Einbeziehung der Zucht und des Managements mit besonderem Augenmerk auf die Mensch-Tier Beziehung und Reduktion der Saugferkelverluste scheinen Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Einführung dieses Haltungssystems zu sein.